ST42, v.l.n.r.: Renate, Thomas und Ralf, Dortmund 1978 (Ausschnitt)
Foto: © Ralf Zeigermann
Nachdem Ralf Zeigermann 1978 die Dortmunder Band Neat verlassen hatte, gründete er zusammen mit seiner Frau Renate ST42. Mit dabei waren Thomas Müller als Sänger und Chris Blondell am Bass. Ralf spielte Gitarre, Renate Schlagzeug.
Die Band hatte einige Auftritte in Dortmund, Düsseldorf, Neuss und zuletzt 1979 beim AntiFa-Festival in Berlin.
Anfang der 80er Jahre gab es eine zweite Inkarnation, diesmal mit Renate als Sängerin, Uwe am Bass und Nick am Schlagzeug.
Etwa 1983 löste sich die Band endgültig auf.
Im Februar 2010 gingen Renate und Ralf zusammen mit Colin Newman von Wire und Malka Spigel von Minimal Compact in ein Nord-Londoner Studio und nahmen den 1978 geschriebenen Song “Flipper” noch einmal neu und professionell auf, allerdings nicht als kommerzielles Produkt – die Aufnahmen wurden unter Freunden verteilt.
“Automaten” von ST42 auf YT: https://www.youtube.com/watch?v=FrbWCwN1EHI&feature=youtu.be
© Ralf Zeigermann, 2020
ST42 beim Antifaschistischen Festival in Berlin (1979)
An diesen chaotischen Tag bzw. jene chaotische Nacht kann ich mich allerdings noch gut erinnern. Berlin, diese geteilte und durchaus gar nicht so charmante Stadt.
Aber der Reihe nach. Ich hatte Gitarre bei Neat gespielt, doch kam es zu unlösbaren musikalischen Differenzen zwischen mir und der Band, wie das so oft geschah in diesen fröhlichen, aber auch seltsam harten Zeiten, jenen Zeiten, die akustisch angereichert waren von den schrillen Klängen der Damned, der Stranglers, Artery, der Vibrators, Wire, S.Y.P.H., Charley’s Girls und auch ab und an von den Feedbacks der Sex Pistols und natürlich der Clash.
Jedenfalls stieg ich aus bei Neat und etwa Mitte 1978 wurden ST42 in Dortmund gegründet, mit Thomas, einem echten Rauhbein aus dem Dortmunder Norden als Sänger, Renate am Schlagzeug und Chris am Bass. Richtig die Instrumente bedienen konnte keiner von uns, singen konnte Thomas schon gar nicht, aber was machte das schon.
Wir hatten diverse Auftritte im Ratinger Hof in Düsseldorf, im Masterpiece in Dortmund, im Okie Dokie in Neuss und eines Tages verblüffte Thomas uns mit der Nachricht, dass er irgendwie (Thomas war da immer recht findig) einen Gig in Berlin bei „irgend so einem Festival“ organisiert hätte.
Als der Termin näherrückte, war Chris schon nicht mehr dabei. Es hatten sich unlösbare musikalische Differenzen ergeben und so erklärte Bernd, der eigentlich Gitarrist bei den Clox war, sich bereit, als Bassist einzuspringen. Wir schoben noch eine schnelle Probe ein, befanden Bernd für gut genug und los gings.
Die Fahrt im Interzonenzug ‐ hieß das eigentlich damals noch so? ‐ war ereignislos, trotz unserer wilden Aufmachung wurden wir entäuschenderweise weder von Schaffnern noch von Grenzern belästigt und kamen irgendwann nachmittags in rechter Bierlaune (zu der Zeit gab es noch sogenannte „Speisewagen“) in Kreuzberg an, wo wir auch rasch von „Blitz“ begrüßt wurden, der, wenn ich mich recht erinnere, bei der Berliner Band Katapult die Gitarre bediente und von Beruf Elektriker war, was ja irgendwie ziemlich gut zusammenpasst.
Blitz begleitete uns zum Audimax, welches bereits brechend voll war und ST42 verfiel erstmal und fortan in gemeinschaftliche Panik. Da gab es doch tatsächlich eine richtige Bühne mit richtigem Publikum unten vor. Es war schon fast unangenehm; wenn man auf der Bühne stand und runterblickte, war unten alles schwarz von Menschen, wir hatten den Eindruck, es wären mindestens 30.000, achwas, 100.000 Wahnsinnige dort unten. Unsere Schlagzeugerin mußte sich direkt übergeben, allerdings leider draußen vor dem Audimax ‐ hätte sie’s drinnen getan, hätte uns das wahrscheinlich einige Pluspunkte bei dem Berliner Publikum einbringen können.
Wir waren relativ spät dran ‐ nach uns spielten, glaube ich, nur noch Katapult und Auswurf ‐ und man hatte uns in einem Raum hinter der Bühne untergebracht, wo wir weiterhin Trübsal blasen und unser Lampenfieber pflegen konnten. Allerdings waren in diesem Raum auch die Getränke untergebracht, die an das gemeine Volk weiterverkauft werden sollten. Dieser Weiterverkauf scheiterte zumindest teilweise daran, daß ST42 und die holländische Band Oneway Subway sich über die Bierkisten hermachten, mit dem Erfolg, dass Thomas und Bernd nicht nur nervös, sondern auch noch sturztrunken auf die Bühne stolperten.
Spätnachts also spielten, sangen und siegten wir. So zumindest unser Eindruck.
Für den Rest der Nacht hatte Blitz uns und vielen anderen eine Unterkunft in einer Kreuzberger Wohngemeinschaft (in der Waldemarstr. 33) verschafft, deren Mitglieder eine seltsame Mischung aus Anarchos, Punks, Hippies und Alternativen darstellten. Als ich frühmorgens aufwachte, weil ein riesiger deutscher Schäferhund zart, zugleich aber auch agressiv über mein Gesicht leckte, suchte ich in dieser irrgartenähnlichen Altbauwohnung erstmal das Klo, immer darauf bedacht, den Hund nicht unnötig zu reizen, der meinen Abgang mit leicht ärgerlichem Knurren kommentierte. Die erste Tür, die ich öffnete, führte in eine fotografische Dunkelkammer, die sich auf den ersten Blick als ungeeignet für mein Vorhaben erwies, da es einfach zu dunkel darin war. Egal, ich musste dringend aufs Klo und stakste verzweifelt weiter den unendlich langen Korridor hinauf (oder hinab); hinter der zweiten Tür fand ich einen kahlen Raum, in dessen Mitte eine nackte Frau zusammen mit zwei nackten Männern auf einer Matratze lag und augenscheinlich alle tief schliefen. Dort in eine Ecke zu pinkeln, wäre mehr als unhöflich gewesen, auch wenn meine Bestürzung ob dieser nach kleinerem Gruppensex aussehenden Tatsache beinahe zu einer Spontanentleerung meiner Blase geführt hätte. Als nächstes fand ich die Küche, dann mehrere weitere schlafende Menschen in diversen Zimmern, Räumen und Kabuffs dieser entsetzlich großen Wohnung und nach unendlich langer Zeit (so kam es mir jedenfalls vor) schließlich auch das Klo; gerettet.
Renate und ich fuhren am gleichen Tag mit dem sozialistisch-demokratischen Zug wieder gen Dortmund, während Thomas und Bernd, mit Akustikklampfe und lauter Stimme ausgestattet, in Berlin noch zwei weitere Tage lang auf den Straßen Berlins ST42 Songs zum Besten gaben.
Wegen unlösbarer musikalischer Differenzen löste ST42 sich einige Monate später auf, um Anfang der achtziger Jahre in neuer Besetzung wiederaufzuerstehen, mit neuen und wahrscheinlich besseren Liedern. Aber das ist eine andere Geschichte, die hier überhaupt nicht hingehört.
© Ralf Zeigermann, 2021