Ostrich

Titelblatt des Fanzines „Ostrich“, Ausgabe Nr. 5, Düsseldorf 1977 (Ausschnitt)

Herausgeber: © Franz Bielmeier

guten abend, meine damen und herren, hier ist das erste deutsche fanzine, das sich mit punk beschäftigte, bevor etwas anders lautendes darüber bekannt wurde. man bezog umgehend eine stellung in der subkultur, weil man zu jung und zu faul war, um sich bis ins nächste jugendzentrum durchzuproben. man schrieb unbekanntes aus fremdländischen musikgazetten ab und protzte in den ersten ausgaben durch gezielten namensabwurf, als hätte man einen großflächigen überblick über drastische kulturveränderungen. als botschafter lauter und greller provokationen rückte man sein spätpubertäres ego so nah es ging an die strahlkraft bereits tätiger ungeheuer mit damenschuhen, zwangsjacken und einstichnarben. man mimte stroboskopblindheit oder bewusstseinsentgrenzung und konfiszierte herrenlosem publikum die aufmerksamkeit weg. wo immer man sich befand, war auch ein hakenkreuz zur hand. das steigerte die herzfrequenz, so lange noch keine verpuppung von ostrich-redakteuren zu bandmitgliedern von charley’s girls stattgefunden hatte, wo die frequenzen schließlich mit dem lautstärkeregler gesteigert wurden.

© franz bielmeier, 2020

der startschuss fūr den ostrich fiel während einem telefonat zwischen franz bielmeier & mir anfang januar 1977. wir stellten uns vor, eine aktuelle, fotokopierte zeitung als alternative zur knirschbunten, nichtssagenden, höchst altmodischen musikberichterstattung seitens der kommerziellen presselandschaft herzustellen, in der wir über fūr uns wichtige bands, auftritte, filme, kunst, literatur und akut aktuelle themen, die in der kommerziell-biederen presse permanent ūbersehen wurden, berichten konnten.

da an den ersten beiden ausgaben außer uns beiden sonst niemand beteiligt war, kritzelten wir die reportagen und machten das layout (es war etwas notdūrftig). franz kopierte im būro jede einzelne seite, die wir dann heiter hefteten.

um ūber die tatsache hinwegzutäuschen, dass nur wir zwei schrieben, garnierten wir die berichte mit pseudonymen wie axel nässe, meister proper oder lee bling.

das layout des ostrichs, das einseitig, schwarzweiss und monoton wirkte, verbesserte sich ab nummer 3, als franz auf eine offsetdruckmaschine im büro seines vaters stieß. das erlaubte uns auch, den preis der nächsten ausgaben zu reduzieren. anfang 1977 hagelte es andauernd protestbriefe wegen des hohen preises, eine unangenehme nebenwirkung, die sich erst durch technischen fortschritt neutralisierte. nachdem franz bei musikexpress und sounds (die es nicht mal druckte) inseriert hatte, zeigten einige punks & radikale interesse genug, um bei uns reinzuschnuppern.

hinzu kam, dass peter hein und franz bielmeier an einem gewissen nachmittag im april 1977 in einem dūsseldorfer plattengeschäft übereinander stolperten: beides hellwache alphatypen, beide total mit dem punkvirus infiziert, beide extrem individualistisch: sie passten zusammen wie die faust aufs auge.

alternative plattenläden – wie ambrosia und egoldts rockorama in köln, disco one und später rock on in dūsseldorf – halfen uns, das fanzine zu vertreiben. mit peter hein als journalist erweiterten sich unsere berichte auch auf die aktuelle britische szene.

punk, pubrock, kino, performances, allerlei konzertrecherchen aus berlin, hamburg, münchen, mont de marsan – die rasch wie ein tsunami um sich greifende deutsche punkbewegung wurde exklusiv durchleuchtet: stenguns, male, jäki eldorado, pvc etc. – alles, was in der ernsten musikpresse wohl damals sonst nie zu wort gekommen wäre.

auch singles-neuerscheinigungen und das allerneuste an rebel-reggae und dub (einiges kramten wir schamlos aus angloamerikanischen blättern zusammen) fanden den weg in den ostrich. zudem schafften wir es noch, unsere eigene gruppe charley’s girls mūhelos ins rampenlicht zu schieben, indem wir ohne richtiges equipment extrem gewaltätige auftritte inszenierten oder fingierten. zu diesem zeitpunkt war das publikum sehr feindselig, aber deutschland war 1977 noch so bieder und modern – konservativ wie zu k.u.k-zeiten.

© ramon luis, 2020