Cover des Samplers „Lieber zuviel als zuwenig“, ZickZack 45, Hamburg 1981
Gestaltung: © Sabine Schwabroh/Alfred Hilsberg
Wir schreiben das Jahr 1979! Auch in Hamburg geht es, wie in Berlin oder Düsseldorf, rund im musikalischen Untergrund! Dem Journalisten Alfred Hilsberg (u. a. bei SOUNDS) sind die von ihm initiierten Konzerte mit aufregenden neuen Bands aus Küchen und Kellern, präsentiert u. a. in der legendären Reihe „Geräusche für …“, nicht genug. Das Interesse an Punk, Post-Punk und New Wave ist da, aber es gibt in der Hansestadt kein dafür geeignetes, nichtkommerziell orientiertes Platten-Label. Mit Klaus Maeck, Taxifahrer und Herausgeber des Untergrund-Magazins Cooly Lully, wird über Nacht, ohne Kapital, ohne Kenntnisse der technischen Abläufe, das Label ZickZack erfunden.
Der Name ist Programm, denn Hilsberg und sein Umfeld wollen sich nicht auf einen Trend, einen musikalischen oder inhaltlichen Stil festlegen, sondern selbst unverwechselbare Zeichen mit den geplanten Veröffentlichungen setzen. Anders als bei den großen Medien-Firmen wie Polydor, Warner oder Teldec, können bei ZickZack die jungen Musiker und Künstler selbst über die Produktionsweise, die Gestaltung der Cover und die Inhalte von Infos entscheiden. Der technische Fortschritt – z. B. mit Vierspur-Kassetten- oder Tonband-Geräten – ermöglicht selbst nahezu mittellosen, aber kreativen Gestalten eine schnelle und kostengünstige Produktion ihrer Ideen.
Erste Veröffentlichung Ende Mai 1979: die erste Single der Hamburger Formation GEISTERFAHRER, in kurzen Abständen u. a. gefolgt von der ABWÄRTS-7“ „Computerstaat“ und der ersten Compilation GERÄUSCHE FÜR DIE 80ER. Aufsehen erregen u. a. die aufwändige Dreier-Single mit den drei Formationen aus Limburg, THE WIRTSCHAFTSWUNDER, DIE RADIERER und SILUETES 61, aber dann auch die musikalisch konträren ZIMMERMÄNNER, ANDY GIORBINO, X-MAL DEUTSCHLAND, F.S.K., KOSMONAUTENTRAUM, PALAIS SCHAUMBURG, DIE TÖDLICHE DORIS und die Debut-Platten der Berliner EINSTÜRZENDE NEUBAUTEN.
Bereits Anfang der 80er gelingt es Hilsberg, sich mit außergewöhnlichen Platten von Punk- und New Wave-Klischees zu entfernen. Seine engen Verbindungen speziell zu jungen, sich gerade profilierenden Malern fördern eine teils dilettantische, humorige, aber auch diverse Genres sprengende Artikulation. Kaum in alkoholisch durchseuchten Treffpunkten wie der Marktstube in Hamburg oder dem Ratinger Hof in Düsseldorf erdacht, werden die manchmal fast wahnwitzigen Ideen im Studio in kaum radiotaugliche Titel umgesetzt.
Start dieser von „jungen Wilden“ geprägten Reihe ist die 7“-EP von 1980 der Nachdenklichen Wehrpflichtigen, von und mit Diedrich Diederichsen, Albert und Markus Oehlen, Frieder Butzmann, FM Einheit und Bettina Köster. Der tschechische Maler Jiri Dokoupil gestaltet ein haptisches Cover für WIRTSCHAFTSWUNDER, die sein Bruder Tom in Limburg gegründet hat. Albert Oehlen folgt mit dem Cover für die Debut-Single von PALAIS SCHAUMBURG. Und Bruder Markus produziert seine Maxi-Single mit dem Titel „Beer is enough“. Inzwischen sehr gesuchte Veröffentlichungen sind das Doppel-Album DIE KIRCHE DER UNUNTERSCHIEDLICHKEIT unter reger Beteiligung von Albert und Markus Oehlen, Diedrich Diederichsen, Martin Kippenberger und Werner Büttner entstanden, und das ebenso legendäre Album mit schrägen Cover-Versionen von Rock-Klassikern, DIE RACHE DER ERINNERUNG. Hieran wirken neben den schon erwähnten Malern auch die inzwischen verstorbenen Jörg Immendorf und A.R.Penck mit, letzterer gestaltet auch das Cover.
Ohne Präsenz in den damals massenhaft verbreiteten Fanzines mit ihren Auflagen von fünf bis 1000 Exemplaren, ohne Präsenz in der SOUNDS und ohne Radioeinsätze in der NDR-Sendung MUSIK FÜR JUNGE LEUTE, wäre der Erfolg von ZickZack so nicht passiert. Von jeder Single werden zwischen 1.000 und 3000 Exemplare, von LPs zwischen 1.000 und sogar mehr als 10.000 Stück über die selbst geschaffenen Vertriebskanäle an ein ausgehungertes, junges Publikum verkauft.
Lokale Basis bleibt der von vielen Punks frequentierte Rip-Off-Laden, aber die steigende Nachfrage forciert die Professionalisierung mit dem Rip-Off-Vertrieb und der Konzert- und Tour-Organisation, die vor allem von Jäki Eldorado betrieben wird. Dabei kommen Hilsberg die schon früh geknüpften Kontakte zu englischen Bands, Labels und Agenturen zugute: so kommen neben den ersten Tourneen mit FEHLFARBEN und D.A.F. die ausverkauften Touren mit THE CURE, HUMAN LEAGUE, SPIZZ ENERGI und auch kurzfristig organisierte Konzerte mit NEW ORDER und PLASMATICS zustande.
Die Erlöse aus diesen Auftritten helfen bei der finanziellen Absicherung des Labels, das sich mit wachsenden Erwartungen und Ansprüchen einiger Bands beschäftigen muss. Die auch in England positive Presse zu einigen ZickZack-Platten führt zu Spekulationen über möglichen internationalen Erfolg bei besseren Studio-Bedingungen. Das soll Bands wie ABWÄRTS oder THE WIRTSCHAFTSWUNDER durch ihre Verträge mit großen Firmen leider nicht gelingen, das schaffen PALAIS SCHAUMBURG, DIE KRUPPS und EINSTÜRZENDE NEUBAUTEN mit ihren konsequent durchdachten Konzepten und ihrer einzigartigen Haltung.
Der angebliche Verrat von ZickZack an einer originären Punk-Haltung, aber auch der Erfolg von ZickZack führt bereits seit Anfang der 80er zu Schmäh-Artikeln in vielen Fanzines bis hin zu im Briefkasten zu findenden Mord-Drohungen gegen Hilsberg. Der sieht sich angesichts der die Köpfe und Kanäle zuschüttenden NDW-Schwemme, wie auch der Rip Off-Vertrieb, mit einer einschneidenden Finanzkrise konfrontiert, gründet das englisch-orientierte Label WHAT´S SOFUNNY ABOUT, macht Rettungs-Versuche mit Bands wie KASTRIERTE PHILOSOPHEN, 39 CLOCKS, THE BEAUTY CONTEST, DIE ERDE, KMFDM und der ambitionierten Band von TOBIAS LEVIN, CPT. KIRK&., aber kann nur durch Lizenz-Veröffentlichungen u. a. von HENRY ROLLINS, NIKKI SUDDEN und vor allem THE GUN CLUB und der Kollaboration mit Mute Records für EINSTÜRZENDE NEUBAUTEN überleben.
Der Zusammenbruch der DDR und der mehr als widerspruchsfreie Anschluss an die BRD führen zu bis heute nachwirkenden Verwerfungen, sie bringen zumindest auch einige bemerkenswerte Bands hervor, denen sich ZickZack sehr zurückhaltend nähert. Realisiert werden Alben der Dresdner Konzept-Rock-Band FREUNDE DER ITALIENISCHEN OPER und der Cottbuser SANDOW. Vergeblich reist Hilsberg nach Chemnitz: ein neues Album der geschätzten AG GEIGE kommt nicht mehr zustande.
Nach der durch die NDW ausgelösten Finanz- und Sinn-Krise erweitert Hilsberg die Label-Programme mit dem Elektro-orientierten neuen Label CashBeat, auf dem u. a. die italienisch-deutsche Formation PANKOW mit heftigen, auch tanzbaren Sounds und rabiaten Texten Alben und Maxis erfolgreich veröffentlicht. Und animiert vom stetigen Wandel in der Medienlandschaft und unterstützt vom neuen Vertrieb EFA, kooperiert Hilsberg mit Lothar Gärtner und seinem Label Strange Ways auf Promotion-Ebene und durch die Gründung des gemeinsamen Labels AUS LAUTER LIEBE, das jedoch nicht über wenige Veröffentlichungen, wie z. B. mit den bereits zu DDR-Zeiten aktiven ORNAMENT + VERBRECHEN, hinauskommt. Der politische und kulturelle Neustart speziell in Hamburg macht ein professionelleres Arbeiten und längerfristiges Denken und Handeln notwendig und hilft z. B. BLUMFELD zu einer Entscheidung für ZickZack mit seinen vielfältigen Erfahrungen und Verbindungen.
Die Neuorientierung des Labels erfolgt vor allem durch die Annäherung an die Band BLUMFELD, mit der Hilsberg eine langjährige Zusammenarbeit als Label und Management, auch in Kooperation mit großen Plattenfirmen, erfolgreich gelingt. Überragende Medienpräsenz erreicht ZickZack im neuen Jahrtausend mit den Album des höchst unterhaltsamen wie auch politisch wachen JENS FRIEBE. Nach längerer, auch gesundheitlich bedingter Zwangspause meldet sich ZickZack in 2020, zum 40jährigen Labeljubiläum, mit spektakulären Alben zurück: dem Soundtrack zum Film über TOBIAS GRUBEN, DIE LIEBE FRISST DAS LEBEN, mit dem Doppelalbum „Naturtrüb“ der neuen Berlin-Hamburger Superband O I L ! Und im Herbst mit der ersten Compilation zu der ByteFM-Sendung ANTIKÖRPER.
Welche Perspektiven sich für ZickZack und andere Überlebende aus dem letzten Jahrhundert anbieten, dürfte sich bereits in der ersten Hälfte der Zwanziger Jahre entscheiden. Denn die teilweise Ablösung der CD und die Auferstehung des Vinyls schaffen keine Alternative zum massenhaften, fast kostenlosen Streaming-Angebot. Der Kauf physischer Tonträger scheint wegen der kulturellen Entwertung von Musik für die aktuelle und kommende Generation kaum attraktiv zu sein. Viele Veröffentlichungen speziell im 40sten ZickZack-Jahr sind ohne finanzielle Zuwendungen, z. B. durch die Initiative Musik und die Hamburger Kulturbehörde, nicht realisierbar. Neue Verwertungs- und Platzierungs-Möglichkeiten sollten bald entdeckt und umgesetzt werden.
© Alfred Hilsberg, 2020